Social Networks: emotionale Digitalisierung oder digitalisierte Emotionen
September 14, 2010 •Alexander Heinze
“Sie haben eine neue Email”. Aha, ich öffne meinen Posteingang und schau nach, was da angekommen ist. Eine Mail von Facebook. Ein Freund hat mich zu einer Veranstaltung eingeladen. Ich “sage zu” mit einem einfachen Klick. In meiner Timeline bei Facebook sehe ich, dass meine Freunde heute sehr aktiv sind. Hier und da erscheinen Statusmeldungen: “Ich gehe jetzt joggen”, “Schöner Tag, bald ist Feierabend” oder “Warum funktioniert Programm XY nicht richtig? Kann da jemand helfen?”.
Alles normal, in unserer heutigen Zeit, oder?
So gerne wir uns mit der technischen Seite der sozialen Netzwerke des Web 2.0 auseinandersetzen, so sollte niemals der menschliche, genauer gesagt der “psychologische”, Aspekt aus dem Fokus geraten. Worum es mir geht? Nun ja, wir sind dazu verleitet unser soziales Umfeld im Zuge der modernen Entwicklung zu reduzieren. Nicht im Umfang, sondern im zwischenmenschlichen Kontakt. Wiederum bieten sich uns Möglichkeiten, die vor einigen Jahren als Fantasterei, als Humbug, bezeichnet wurden.
Ich bin 1982 geboren, das Jahr in dem das ARPANET, der Vorläufer des heutigen Internets, das TCP/IP Protokoll adaptierte. 1989, als ich 7 Jahre alt war, entwickelte Tim Berners-Lee das heutige “World Wide Web”, welches 1993 durch “Mosaic”, den ersten grafischen Browser, erst wirklich zugänglich wurde für die Massen. Zu dem Zeitpunkt war ich 11 Jahre alt. Und dann kam der Aufschwung, der Siegeszug des WWW. 2010, also 17 Jahre später, hat sich die Welt ein ganzes Stück weitergedreht. Wir “gruscheln” und “stupsen an”, wir signalisieren, dass uns etwas “gefällt” und wir “sagen zu” oder “ab” wenn wir eingeladen werden, ohne auch nur ein Wort zu wechseln mit einem Menschen, der uns gegenübersteht. Zudem sind wir in diversen “Gruppen” Mitglied und können in wenigen Sekunden Menschen finden, die wir seit Jahren aus den Augen verloren haben.
Soziale Netzwerke bieten uns eine Plattform, wie sie es in dieser Form noch nie gab. Doch immer nur zum Guten?
Beispiel Loveparade 2010: In einer Massenpanik sterben mehrere Menschen. Kurz darauf tauchen erste Berichte auf, dass bereits Tage zuvor in sozialen Netzwerken davor gewarnt wurde, dass es zu einer Massenpanik kommen kann aufgrund des unausgereiften Konzeptes. Mittlerweile gibt es Kondolenzgruppen, welche die Toten der Loveparade betrauern und einen Ort bieten, um sich auszutauschen, Trost zu spenden, sich abzureagieren. Das “soziale Miteinander” der Digitalisierung zeigt hier seine Vielseitigkeit. Es hilft zueinanderzufinden und überbrückt jede noch so große Entfernung. Zudem hätte es, wenn dem Gehör geschenkt worden wäre, vielleicht sogar eine Katastrophe verhindern und Menschenleben retten können.
Beispiel Mobbing: Außenseiter, sei es im Schüleralter wie auch bei Erwachsenen, stehen im Fadenkreuz all jener, die sich gerne Opfer suchen und eine breite Masse benötigen, um sich zu profilieren. Ok, wenn wir ehrlich sind, hatten wir alle mal solche Erlebnisse in jungen Jahren, auf welcher Seite auch immer wir standen. Gefährlich wird es aber ab dem Punkt, bei dem der Täter aus seinem Publikum eine aktiv mitwirkende Masse formt. So schafft die räumliche Distanz eine Anonymität, hinter der es nicht nur leicht ist sich zu verstecken, sondern auch leicht ist, den Bezug zum “realen” zu verlieren. Digital ist man sich nahe genug, um zu verletzen, Angst zu schüren, Hass zu predigen und unsichere Menschen an den Abgrund zu drängen. All diese negativen Aspekte brauchen nur ein Medium, um gehört zu werden. So gab es schon mehrere Fälle, in denen sich Jugendliche das Leben nahmen oder Amok liefen, weil sie ausgegrenzt wurden. Natürlich ist das soziale Netz nicht der Grund dafür und trägt keine Schuld als Auslöser, aber es dient hier als Katalysator und Medium.
Licht und Schatten gehen hier einher und letztlich sollte man niemals vergessen, dass immer noch ein Mensch hinter der Tastatur sitzt, dass Emotionen auch in digitalisierter Form ihr Ziel finden. Der Umgang mit dem Medium WWW ist in gewisser Weise gefährlich und führt viele Menschen schnell in Abhängigkeiten die einer Sucht gleichen. Gleichermaßen aber vereinfachen wir vieles, was uns vor Jahren deutlich mehr Aufwand gekostet hat. So ist der Kontakt zu unserem sozialen Umfeld schnell, unkompliziert, die Welt umspannend und doch irgendwie…unpersönlich.
Aber auch ich bin dem verfallen, in gewisser Weise. Meiner Bequemlichkeit trägt Twitter ungemein bei. Wo ich noch vor einiger Zeit Dutzende Nachrichtenseiten besucht habe und mich durch eine Flut von News kämpfen musste, bündeln sich diese inzwischen auf meiner Twitter Seite, da ich als “Follower” allem Folge, was mich interessiert. So lässt sich leichter der Überblick behalten und ich bin, subjektiv betrachtet, schneller informiert als zuvor.
Der technologische Fortschritt, die digitale Revolution, hat gerade erst begonnen. Ich bin mir sicher, dass in den nächsten 5-10 Jahren ähnliche neue Welten im Netz entstehen, die den digitalen Lifestyle umkrempeln und uns vor neue Probleme stellen und wiederum bisherige Probleme lösen. Verteufeln kann und will ich soziale Netzwerke nicht, dafür bieten sie zu viel positives Potenzial. Dieses muss jedoch auch ausgeschöpft und nicht missbraucht werden und bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Aber eine Besserung ist in Sicht, schließlich liegt es an uns allen, der Formgebung des 21. Jahrhunderts eine Kontur zu verpassen, die sich von der digitalisierten Welt in unserer, Gott sei Dank, immer noch vorhandenen, analogen Welt wiederfindet. Eine gute Portion Skepsis, etwas Kreativität und der Wille, etwas Neues zu schaffen, sollte eine gute Grundlage bilden.
So und nun bin ich weg, ich muss dringend was “twittern”….
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